Solo-Selbstständigkeit – Fakten
Der Begriff der Solo-Selbstständigkeit hat es nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie zu einer breiten öffentlichen Verwendung geschafft. Dabei ist weder das Phänomen an sich noch der Begriff neu – vielmehr haben die Folgen der Pandemie auf die besonderen Bedingungen dieser Erwerbsgruppe aufmerksam gemacht. Aber wer und was verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung? Was zeichnet diese Form des Arbeitens aus und was sind die spezifischen Herausforderungen im Arbeiten als Solo-Selbstständige*r?
Was ist Solo-Selbstständigkeit?
Auf eigene Rechnung zu arbeiten bedeutet ein höheres Maß an Autonomie und Flexibilität. Selbstbestimmung, Entscheidungsfreiheit und flexible Arbeitszeiten sind für viele Solo-Selbstständige die positiven Aspekte dieser Arbeitsform. Selbstständig zu sein, bedeutet dabei auch die unternehmerischen Risiken der Arbeit selbst zu tragen. Konkret heißt das, dass Selbstständige und Solo-Selbstständige stets selbst dafür sorgen müssen ausreichend Aufträge zu erhalten, um ihr Auskommen zu erwirtschaften. Das erfordert häufig eine langfristige Planungsperspektive und gleichzeitig Flexibilität und Anpassungsbereitschaft. Dabei kennen die meisten Solo-Selbstständigen Phasen der Auftragslosigkeit, für die idealerweise in ‚besseren‘ Monaten Rücklagen gebildet werden. Das Risiko des Erwerbs selbst zu tragen, bedeutet für die allermeisten auch selbstständig für die soziale Absicherung zu sorgen, sich also um die Kranken- und Pflegeversicherung, die Altersvorsorge selbst zu kümmern und die Anteile selbst zu zahlen. Die Entlohnung für selbstständige Arbeit sollte also die Kosten für die soziale Absicherung und die Möglichkeit für Rücklagen beinhalten – was häufig nicht der Fall ist.
Anders als vielleicht auf den ersten Blick ersichtlich, macht einen erheblichen Teil des Arbeitsalltags Solo-Selbstständiger nicht unbedingt die Kerntätigkeit aus – also z.B. eine Webseite zu designen. Hinzu kommen eine Vielfalt an weiteren Aufgaben, die diese Kerntätigkeit überhaupt erst ermöglichen – je nach Beruf sind das etwa Auftragsakquise, Buchhaltung, Öffentlichkeitsarbeit, Netzwerkarbeit, Weiterbildung uvm. Mit der Freiheit, die diese Erwerbsform ermöglicht, geht also die Anforderung einher stets für ausreichend Einkünfte zu sorgen, häufig gepaart mit Zukunftsunsicherheit, was als belastend wahrgenommen wird.
Der besondere Druck für Solo-Selbstständige rührt unter anderem daher, dass sie in hohem Maße auf sich selbst und ihre eigene Arbeitskraft angewiesen sind. Sind sie krank oder haben sie in einem Monat zu viele Anfragen, haben sie Urlaub oder ist das Kind krank, können sie oder der Auftraggeber die Aufgaben zwar oft auch an eine*n Kolleg*in delegieren. Die Konsequenz sind jedoch Einkommensausfälle. Die eigene Arbeitskraft ermöglicht also einerseits das Angebot, gleichzeitig ist es durch die Grenzen derselben limitiert. Diese Abhängigkeit von der eigenen Leistungsfähigkeit unterscheidet Solo-Selbstständige wesentlich von Unternehmer*innen, zu denen sie häufig gezählt werden. Während klassische Unternehmer*innen über Kapital verfügen, Aufgaben an Mitarbeiter*innen delegieren können und weniger existenziell auf die eigene Arbeitskraft angewiesen sind, trifft das auf Solo-Selbstständige nicht zu. In der Wissenschaft wird der Status der Solo-Selbstständigkeit daher als einer zwischen Arbeitnehmertum und Unternehmertum beschrieben: Die Ähnlichkeit zu Arbeiternehmer*innen ergibt sich durch die Abhängigkeit von der eigenen Arbeitskraft. Die Ähnlichkeit zum Unternehmertum wiederum besteht darin, dass das Risiko hierfür selbst getragen wird (Pongratz/Abbenhardt 2015).
Allein mit der Bezeichnung Solo-Selbstständigkeit ist noch nicht beschrieben, was das Arbeitsleben dieser Gruppe Selbstständiger auszeichnet. Die meisten Solo-Selbstständigen sind dies nicht ihr ganzes Berufsleben lang oder sind nicht ausschließlich selbstständig. In Biographien kann die Erwerbsform daher ganz unterschiedliche Bedeutung einnehmen. Etwa ist sie für einige eine Übergangsposition, beispielsweise im Aufbau eines Unternehmens mit Beschäftigten oder nach Phasen der Erwerbslosigkeit, der Elternzeit, der beruflichen Neuorientierung kann eine Solo-Selbstständigkeit eine Möglichkeit sein Anschluss an den Arbeitsmarkt zu finden. Nicht unbedeutend ist die Anzahl derjenigen, die zum Ende des Berufslebens solo-selbstständig werden oder im Ruhestand selbstständig weiterarbeiten. Wechselnde Phasen der abhängigen Beschäftigung, zum Teil der Arbeitslosigkeit und Selbstständigkeit im Berufsleben sind nicht untypisch. Die Standbein-Spielbein-Strategie (Manske 2015), also eine parallel zur Selbstständigkeit ausgeführte Festanstellung, ist eine Möglichkeit selbstständig zu bleiben und Einkommenssicherheit über eine Anstellung zu generieren. Unter dem Begriff der Erwerbshybridisierung werden diese Formen der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher bzw. wechselnder Erwerbsstatus zusammengefasst und diskutiert (siehe hierzu Bögenhold/Fachinger 2012; Bührmann et al. 2018).
Wer sind die (Solo-)Selbstständigen?
Ganz grundsätzlich aber lässt sich sagen, dass die Bedeutung der Solo-Selbstständigkeit in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen hat. Selbstständig waren 2018 in Deutschland etwa vier Millionen Menschen, davon 2,2 Millionen solo-selbstständig (Bonin et al. 2020: 9). Während die Zahl der Selbstständigen mit Beschäftigten seit den 1990er Jahren fast konstant ist, hat die quantitative Bedeutung der Solo-Selbstständigen deutlich zugenommen und macht mittlerweile die Mehrheit der Selbstständigen aus. 2016 waren 10 % aller Erwerbstätigen selbstständig, die Mehrheit, etwa 6%, davon solo-selbstständig (Maier/Ivanov 2018: 14). Seither stagniert die Anzahl in etwa auf diesem Niveau. Trotz der Zunahme ist der Anteil der Solo-Selbstständigkeit in Deutschland im Vergleich zu europäischen Staaten eher niedrig – ihr durchschnittlicher Anteil in der Europäischen Union liegt bei 10% (Schulze Buschoff 2017: 55).
Was steckt hinter der Zunahme von Solo-Selbstständigkeit?
Die Gründe für die Bedeutungszunahme von Solo-Selbstständigkeit sind vielfältig. Ganz grundlegend ist sicherlich der Wandel des Arbeitsmarktes insgesamt seit den 1980er Jahren. Seitdem erodiert das sogenannte Normalarbeitsverhältnis, das auf einer unbefristeten Vollzeitbeschäftigung basiert. Zwar war dieses bei genauer Betrachtung immer nur für einen Teil der Erwerbsbevölkerung „Normalität“ (primär für Männer ohne Migrationshintergrund), dennoch war es in der Bundesrepublik lange das dominierende Erwerbsverhältnis. Durch politische Reformen wurde der Arbeitsmarkt flexibilisiert – nicht zuletzt durch die Arbeitsmarktreformen (oder „Hartz-Reformen“) zu Beginn der 2000er Jahre. Die Umstrukturierungen erleichterten es Unternehmen Mitarbeiter*innen nicht mehr anzustellen, sondern Arbeitsaufgaben auszulagern und beispielsweise an freie Mitarbeiter*innen zu vergeben. Im Zuge dessen nahmen atypische Erwerbsformen, wie geringfügige Beschäftigung, Leiharbeit, Teilzeitarbeit und eben auch die Solo-Selbstständigkeit zu. Letztere wurde zusätzlich gezielt durch Maßnahmen der Arbeitsagenturen wie der Ich-AG (eigentlich Existenzgründerzuschuss und mittlerweile durch das Förderinstrument Gründungszuschuss ersetzt) gefördert. Damit wurde und wird die (Solo-)Selbstständigkeit explizit als Weg zur Überwindung von Arbeitslosigkeit politisch unterstützt. Auch die Tatsache, dass immer mehr Frauen erwerbstätig wurden und werden erklärt einen Teil des Anstiegs atypischer Beschäftigungsverhältnisse und eben auch der Solo-Selbstständigkeit. Hinzu kommen branchenspezifische Regulierungen und Entwicklungen, die den Anstieg der Solo-Selbstständigkeit begünstigen: So steigt beispielsweise durch den Wegfall der Meisterpflicht in einigen Handwerksberufen die Anzahl der Solo-Selbstständigen in diesen Gewerken an. Der Kunst- und Kreativsektor hat einen besonders starken Wandel durchgemacht, im Zuge dessen unbefristete Beschäftigungsverhältnisse reduziert und stattdessen vermehrt freie Mitarbeiter*innen engagiert wurden (etwa im Journalismus). Andererseits sind viele Berufe in den letzten Jahrzenten überhaupt erst entstanden (etwa im Web-Design) und werden primär freiberuflich ausgeführt. Insgesamt ist der Kunst- und Kreativsektor ein bedeutendes Feld solo-selbstständiger Arbeit (Basten 2017; Manske/Schnell 2018).
In welchen Berufen sind sie aktiv?
Der Wandel des Arbeitsmarktes spiegelt sich in den Berufen wider, in denen besonders viele Solo-Selbstständige vertreten sind. So zeigt sich einerseits ein deutlicher Rückgang in Berufen, die zu den klassischen der Selbstständigkeit zählen, wie der Landwirtschaft, dem Handel, Vertreter*innen usw. Andererseits hat die Solo-Selbstständigkeit in künstlerischen, publizistischen, in hauswirtschaftlichen Berufen, in der Lehre und auch etwa in sozialen Berufen zugenommen. In der jüngeren Vergangenheit stieg der Anteil Solo-Selbstständiger zudem unter den Werbefachleuten, unter Reinigungs- und Sicherheitskräften, unter Psycholog*innen, Heilpraktiker*innen, in pflegenden Berufen an (Brenke/Beznoska 2016). Die Vielfalt solo-selbstständiger Erwerbsarbeit wird allein schon anhand dieser (unvollständigen) Aufzählung deutlich. Ersichtlich wird auch, dass zwar nicht ausschließlich, aber doch deutlich der Anteil von Akademiker*innen unter den Solo-Selbstständigen groß ist und zugenommen hat (ebd.). Zudem hat die Teilzeitquote seit den 1990er Jahren unter Solo-Selbstständigen zugenommen – insbesondere in den Berufen, die vornehmlich von Frauen ausgeführt werden (soziale und pflegende Berufe, Körperpflege, Bürokräfte usw.).
Und das Einkommen? Zwischen Spitzenverdienst und Prekarität
Die prekäre Einkommenssituation eines bedeutenden Teils der Solo-Selbstständigen führt häufig zu einer prekären Erwerbs- und Lebenssituation insgesamt. Bedeutend hierfür ist die unzureichende Integration in das Netz der sozialen Sicherung. Während die meisten Arbeitnehmer*innen auch bei geringen Einkommen zumindest abgesichert sind, müssen Solo-Selbstständige diese Absicherung aus ihren Einnahmen bestreiten – und sind diese gering, so folgt daraus in aller Regel eine geringe bis gar keine Absicherung. Es gibt durchaus Bemühungen diese Lücken zu schließen: So wurde 2009 eine Krankenversicherungspflicht eingeführt. Dennoch besteht weiterhin ein großer Bedarf an einer Verbesserung der sozialen Sicherung – etwa bezüglich der Altersvorsorge (Fachinger 2014; Schulze Buschoff 2016). Je nach Beruf ist die Altersvorsorge unterschiedlich geregelt. In wenigen Berufen besteht eine Pflicht zur Altersvorsorge, in verkammerten Berufen ist eine berufsständische Alterssicherung obligatorisch, viele Solo-Selbstständige aber müssen sich selbst und freiwillig absichern. Auch die Arbeitslosenversicherung muss freiwillig abgeschlossen werden und ist auch nur unter eingeschränkten Bedingungen für Solo-Selbstständige zugänglich. Die Folge ist, dass ein großer Teil Solo-Selbstständiger nicht oder unzureichend für das Alter aber auch für Phasen der Auftragslosigkeit geschützt sind. Problematisch bleibt, dass die meisten Solo-Selbstständigen die Kosten für die soziale Absicherung gänzlich alleine tragen müssen – Auftraggebende müssen sich an den Kosten nicht beteiligen. Lediglich die Künstlersozialkasse stellt hier eine Ausnahme dar. Allerdings bleibt das Problem: Wenn aufgrund geringer Honorare geringe Beiträge einbezahlt werden, sind die Perspektiven für den Ruhestand äußerst prekär.
Quellen
Bührmann, Andrea D.; Fachinger, Uwe; Welskop-Deffaa, Eva M. (Hrsg.) (2018): Hybride Erwerbsformen. Digitalisierung, Diversität und sozialpolitische Gestaltungsoptionen. Wiesbaden: Springer VS.
Bögenhold, Dieter; Fachinger, Uwe (2012): Selbständigkeit im System der Erwerbstätigkeit. In: Sozialer Fortschritt
61(11–12), S. 277–287.
Brenke, Karl; Beznoska, Martin (2016): Solo-Selbständige in Deutschland – Strukturen und Erwerbsverläufe
(Forschungsbericht/BMAS, FB465). Berlin: BMAS.
Bührmann, Andrea D.; Pongratz, Hans J. (2010): Prekäres Unternehmertum. Unsicherheiten von selbstständiger
Erwerbstätigkeit und Unternehmensgründung. Wiesbaden: Springer VS.
Fachinger, Uwe (2014): Selbständige als Grenzgänger des Arbeitsmarktes. Fragen der sozialen Sicherung. In: Claudia
Gather; Ingrid Biermann; Lena Schürmann; Susan Ulbricht; Heinz Zipprian (Hrsg.) (2014): Die Vielfalt der
Selbständigkeit. Sozialwissenschaftliche Beiträge zu einer Erwerbsform im Wandel. Baden-Baden: Nomos, S. 111–134.
Gather, Claudia; Biermann, Ingrid; Schürmann, Lena; Ulbricht, Susan; Zipprian, Heinz (Hrsg.) (2014): Die Vielfalt der
Selbständigkeit. Sozialwissenschaftliche Beiträge zu einer Erwerbsform im Wandel. Baden-Baden: Nomos.
Maier, Michael; Ivanov, Boris (2018): Selbstständige Erwerbstätigkeit in Deutschland. Forschungsbericht 514. Erstellt
im Auftrag des BMAS. Mannheim: ZEW Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung.
Manske, Alexandra (2015): Selbständigkeit als Patchwork-Existenz: Neue Muster von Selbständigkeit in den
Kulturberufen. In: Sozialer Fortschritt 64(9/10), S. 241–246.
Manske, Alexandra; Schnell, Christiane (2018): Arbeit und Beschäftigung in der Kultur- und Kreativwirtschaft. In:
Fritz Böhle; G. Günter Voß; Günther Wachtler (Hrsg.) (2018): Handbuch Arbeitssoziologie. Band 2: Akteure und
Institutionen. Wiesbaden: Springer VS, S. 423–450.
Pongratz, Hans J.; Abbenhardt, Lisa (2015): Selbständigkeit, Unternehmertum oder Entrepreneurship? Differenzierungen
der Felder unternehmerischen Handelns. In: Sozialer Fortschritt 64(9–10) (Berufliche Selbständigkeit und
Entrepreneurship: Neue Perspektiven, neue Problemlagen), S. 209–216.
Podcasts
Wir haben mit Karin Schulze Buschoff über die Ergebnisse ihrer Befragung von Solo-Selbstständigen zu Auswirkungen der Krise und daraus resultierende Handlungsempfehlungen gesprochen. Wie es den (Solo-)Selbstständigen mittlerweile geht, was die Ampelkoalition für Solo-Selbstständige plant und was gewerkschaftliche Forderungen damit zu tun haben, hört ihr in dieser Folge. Die zugehörige Studie findet sich hier.
In ihrem Podcast spricht Kathy Ziegler, selbst freie Journalistin, mit Solo-Selbstständigen und politischen Akteuren zu dem Thema Solo-Selbstständigkeit vor dem Hintergrund der Corona-Krise – was schiefläuft, was geändert werden muss und wie dafür gekämpft werden kann.
Wissenschaftliche Beiträge
Die Autoren untersuchen, warum sich welche Strukturen selbstständiger Erwerbstätigkeit herausgebildet haben. Dabei wird insbesondere die Heterogenität beruflicher Selbstständigkeit in den Blick genommen, die sich etwa in Bezug auf Einkommen und Arbeitszeiten, aber auch Geschlecht oder Branche zeigt.
Spezielle Befunde zu Solo-Selbstständigkeit während der Corona-Pandemie
Die Corona-Pandemie hat ein Schlaglicht auf die Situation solo-selbstständig Erwerbstätiger geworfen. Mit diesem wurden sowohl die mit diesem Erwerbsstatus verbundenen Prekaritätsrisiken als auch die Unsichtbarkeit dieser Erwerbspersonengruppe im Policy Making deutlich.
Im Podcast HDS im Gespräch sprechen wir mit Karin Schulze Buschoff über die Studie.
Videos
Alexander Kritikos stellte auf der Veranstaltung am 27.11.2022 empirische Erkenntnisse zur aktuellen Situation Solo-Selbstständiger vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie vor. Die Studie „Corona Pandemie wird zur Krise für Selbstständige“ findet sich hier.